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Alternativen zur Vitrine beim ersten „Deutsch-finnischen Gespräch“

Am Abend des 29.03.2021 fand online das erste „Deutsch-Finnische Gespräch“ statt. Drei finnische Expertinnen präsentierten ihr Museums-Projekt „Alternativen zur Vitrine“. Fortsetzungen der „Gespräche“ sind schon in Vorbereitung.

Kaisa Penttilä, Piia Rossi und Ritva Kannel stellten ihre Projektarbeit vor und beantworteten Fragen.

Als Gesprächspartner nahmen der Vorsitzende Dr. Jürgen Trinkus und andere Mitglieder des Vereins Andersicht e.V. (Kiel) und Mitglieder des Deutsch-Finnischen Vereins für inklusive Kulturarbeit e.V. teil.

Kaisa Penttilä ist blind und eine neugierige Museumsbesucherin. Als IT-Lehrerin im Finnischen Sehbehindertenverband nutzt sie die Methoden der Modellierung. Auf diese Weise hat sie große Erfahrung mit der Wahrnehmung durch blinde und sehbeeinträchtigte Lernende gewonnen.

Piia Rossi ist Künstlerin, Kunstlehrerin und Doktorandin. Sie beschäftigt sich mit der Teilhabe in Kunst und Kultur. Sie untersucht die Bedeutung dieser Teilhabe für die Entwicklung der persönlichen Identität und Handlungsfähigkeit der Museumsbesuchenden. 

Ritva Kannel ist Architektin und Expertin für Barrierefreiheit in Museen. Sie untersucht vor allem die Herstellungsprozesse der 3D-Objekte für Ausstellungen. Wie findet man Lösungen, um gesetzliche Regeln, Materialkosten, Aufwand und Nutzbarkeit optimal verbinden zu können?

Ziel des Projektes „Alternativen zur Vitrine“ war die Entwicklung und Erprobung von tastbaren Modellen für Museumsausstellungen. Das Projekt strebte einfache, nachhaltige und kostengünstige Lösungen an, die in die allgemeine Darstellungspraxis übernommen werden konnten.

Die drei Expertinnen hatten ihre Projektidee 2014 öffentlich präsentiert und finnische Museen zur Mitarbeit eingeladen. Am Ende ergab sich eine Zusammenarbeit mit dem Sportmuseum in Helsinki und dem Burgmuseum Olavinlinna in Savonlinna.

Bei der Produktion der tastbaren Objekte kamen moderne, 3D-Druck-Verfahren zum Einsatz. Je nach Objekt konnten verschiedene Materialien eingesetzt werden, um jeweils einen Eindruck von Gewicht oder Beschaffenheit des Originals zu vermitteln.

Welche Rolle spielt ein tastbares Objekt in der Ausstellung?

Im Ausstellungsraum des Sportmuseums hängt ein Ruder-Achter unter der Decke. Sehende nehmen ihn sofort war, die elegante Form des Bootes weist wie ein Kunstwerk auf das Thema des Museums hin.

Durch ein tastbares Modell können auch Nichtsehende diese Aussage erfassen.

Das Olympia-Stadion in Helsinki ist ein Wahrzeichen der Sportkultur in Finnland. Seine Architektur ist allgemein bekannt, Bilder und Pläne rufen sie in der Ausstellung ins Gedächtnis.

Ein tastbares Modell des Gebäudes gibt auch Nichtsehenden die Möglichkeit, einen Eindruck zu gewinnen oder eigene Erinnerungen und andere Informationen einzuordnen.

Ein einfacher prähistorischer Schlittschuh aus Knochen dokumentiert die intensive kulturhistorische Verbindung mit dem nordischen Winter. Einen so faszinierenden Gegenstand in die Hand zu nehmen bedeutet, das ganze Spektrum vom traditionellen Wintervergnügen bis zur Eishockey-Weltmeisterschaft im wörtlichen Sinn zu begreifen.

Die Beispiele zeigen, dass tastbaren Objekten eine große Bedeutung für das Erleben und Verstehen einer Museumsausstellung zukommt. Sie ergänzen die mündliche Audiodeskription und die Hörbeschreibungen in den Audioanlagen. Dabei müssen die Objekte sorgfältig ausgewählt sein. Das Antasten ist ein gezieltes Wahrnehmen wie das Lesen eines Textes, es fordert Aufmerksamkeit und Konzentration, die nicht vergeudet werden wollen.

Für nichtsehende Besucher*innen ist es selbst verständlich sehr wichtig, wie diese Objekte in der Ausstellung präsentiert werden. Im Sinne der Barrierefreiheit sollten sie jederzeit gut zu finden und zu nutzen sein. Gleichzeitig sollten sie aber auch nicht im Weg stehen oder auf andere Art stören.

Tastbare Objekte sind für alle Besucher*innen, besonders auch für Kinder attraktiv und gehen möglicherweise den ganzen Tag von Hand zu Hand. Deshalb sind Sicherheit und Hygiene wichtig. Tastende möchten sich sicher nicht an schadhaften Stellen verletzen oder im Gebäudemodell einen Kaugummi entdecken.

Durch Befragungen von Besucher*innen, aber auch durch eigene Erfahrungen konnten viele wichtige Erkenntnisse gewonnen werden. Die Form eines Objektes steht vor allen anderen Eigenschaften. Die Form trägt die wichtigsten Informationen zum Objekt. Die Größe sollte eine Handspanne nicht übersteigen, so kann die Form am einfachsten schnell erkannt werden.

Material und Oberflächen tragen weitere Informationen und sollten dabei nicht im Widerspruch zum Original stehen wenn es für das Verständnis wichtig ist.

In der Diskussion wurden zahlreiche Aspekte und Erfahrungen angesprochen. Der Verein Andersicht e.V. bemüht sich seit vielen Jahren um Kulturangebote für Nichtsehende und hat vielfältige Lösungen für die Vermittlung von Informationen und visuellen Eindrücken entwickelt und erprobt. Dr. Jürgen Trinkus wies auf die Bedeutung von sinnvollen Beschreibungen hin, die mit dem Tasterlebnis einhergehen müssen. Er bemerkte, dass die Ausstellungsgestaltungen häufig noch „im 20. Jahrhundert“ verhaftet seien.

Die Frage der neuen technischen Möglichkeiten durch digitale Produktionsprozesse nahm einen breiten Raum ein. 3D-Druck mit verschiedensten Materialien oder das räumliche Erfassen von Objekten durch Laser-Scans bieten praktisch überall die Möglichkeit, tastbare Modelle individuell und preiswert zu produzieren. Dabei gewinnt selbstverständlich auch die Frage der Nachhaltigkeit an Bedeutung, Wegwerf-Objekte wären keine gute Lösung.

Tatsächlich gibt es in Museen und Ausstellungen noch viel zu tun. Der internationale Austausch von Ideen und Erfahrungen ist eine wesentliche Hilfe dabei. Es bleibt ein gemeinsamer Wunsch und eine gemeinsame Aufgabe, die Diskussion zu vertiefen und weiterzuführen.

Text: Martin Conze, Deutsch-Finnischer Verein für inklusive Kulturarbeit e.V.

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